Bulgarien 1

DIE WEISE ALTE DAME
- zu Besuch in der Hauptstadt Sofia

Rund 20 Meter hoch ragt sie in den Himmel über dem Stadtzentrum – die moderne Statue der Sophia, Schutzpatronin und Symbolfigur der Weisheit. Denn sophia ist das altgriechische Wort für Weisheit. Und weil es hier seit der Spätantike eine Kirche der Heiligen Sophia gibt, wurde sie namensgebend für die bulgarische Hauptstadt.
Sofia ist eine der ältesten Städte Europas. Schon vor rund 4.000 Jahren wurde sie vom antiken Volk der Thraker gegründet.
Später übernahmen Römer die Herrschaft. Im Zuge der Völkerwanderung kam das Volk der Bulgaren aus Vorderasien und gründete ein erstes Großreich, das später von den Byzantinern unterworfen wurde. Auf sie folgte ein zweites bulgarisches Reich, ehe die Osmanen die gesamte Balkanhalbinsel unter ihren Einfluss brachten und bis zu den Befreiungskriegen Ende des 19. Jahrhunderts beherrschten. Alle Epochen haben mehr oder weniger deutliche Spuren hinterlassen. Bei einem Rundgang durch das heutige Sofia kann man tief eintauchen in die Jahrtausende alte Geschichte. Und starten wollen wir ganz am Anfang:

Reportage (Radio SWR4 RP, 18.09.2022):

Zum Anhören klicken: O-Ton Biljana Nikolowa]

"Wir sind jetzt hier bei den Thermalquellen. Das ist der Grund dafür, warum Sofia überhaupt existiert. Hier die Thraker haben sich wegen die Thermalquellen angesiedelt. Das Wasser schmeckt, und die Leute holen immer noch Wasser von hier, weil es nicht nur heiß ist, man kann gleich Tee machen, aber auch sehr gesund ist."

Und Stadtführerin Biljana Nikolowo ermuntert uns von dem schwefelhaltigen Quell zu kosten. Na ja, ist wohl eher Geschmackssache. Vielleicht auch der Grund, warum die alten Thraker ihren Wein lieber pur tranken und deshalb bei den Griechen als Barbaren galten. Dass sie aber nicht nur kriegerische Haudraufs waren, beweist der fein gearbeitete Goldschatz im Historischen Nationalmuseum. Besonders beeindruckend ist die Schale mit den Gesichtszügen eines Herrschers:

Biljana Nikolowa an den Thermalquellen
Thrakische Kriegerrüstung
Thrakische Schale aus massivem Gold

[O-Ton Biljana Nikolowa:]
"Das ist ein schweres Stück Gold, fast pures 24 Karat Gold, erinnert ein bisschen an die Todesmasken von Agamemnon in Griechenland, aber ist ganz anders, weil die Totenmasken, die sind von dünner Folie. In diesem Fall wir sprechen von ein Gefäß, der wiegt über 600 Gramm."

Trotzdem ging das Thrakerreich kurz nach der Zeitenwende unter. Auch der Stamm der Serden auf dem Gebiet des heutigen Sofia konnte dem Vordringen der Römer nicht standhalten:

[O-Ton Biljana Nikolowa:]
"Die Römer haben die Stadt genommen, und dann haben sie als Erinnerung an die Serden, die sie getötet haben, Serdica genannt, und wir haben heutzutage die ganze innere Stadt hier schon freigelegt, von der Ostpforte bis zu der Westpforte, alles ist sichtbar, man kann es besuchen, und es ist interessant – in einer europäischen Hauptstadt unter der Hauptstadt eine römische Hauptstadt."

Überreste aus Römerzeit und Moschee
Alexander-Newski-Kathedrale
In der Kathedrale

Ab dem späten Mittelalter übernahmen die Osmanen die Herrschaft. Eine Moschee zeugt noch heute davon. Erst Ende des 19. Jahrhunderts konnte Bulgarien mit Hilfe des russischen Zarenreichs seine Unabhängigkeit erkämpfen. Sinnbild dafür ist die orthodoxe Alexander-Newski-Kathedrale, vor knapp hundert Jahren eingeweiht und heute Sofias Top-Attraktion.

[O-Ton Biljana Nikolowa:]
"Alles, was wir sehen, ist ganz absichtlich sehr prächtig gemacht. Es ist in dem Stil der russischen Kirchen gebaut, mit goldenen Kuppeln, auch mit einer Krypta. Innen ganz unten sind sehr große Fresken, die zeigen die Wunder von Christus, und das ist, weil diese Befreiung nach 500 Jahre Aufständen war wie ein von diese Christus' Wunder."

[Zum Anhören klicken: Chor der Alexander-Newski-Kathedrale singt "Halleluja"]

___________________________________________________

Lost in Translation
- bulgarische Sprache, schwere Sprache

Die Welt wird ja immer kleiner und internationaler. Als weitgereister Tourist ist man es längst gewöhnt, dass selbst in den entlegensten Winkeln dieses Planeten zumindest irgendjemand der englischen Zunge mächtig ist. Auch in Osteuropa und nicht zuletzt in Bulgarien wächst die Zahl genau dieser Menschen. Vor allem in der Hauptstadt Sofia und an den Badestränden von Warna. Doch je weiter man sich von den touristischen Zentren entfernt, desto geringer die Aussicht auf Verständigung. Dort heißt es dann leider sehr oft: "Man sprickt bulgarski" ­– und sonst nix! Sogar bei Leuten, die im Tourismusgewerbe tätig sind. So beispielsweise selbst erlebt im "Aqua Varvara Hotel" in den Rhodopen. Die Herberge wird fast ausschließlich von einheimischen Familien frequentiert, Ausländer verirren sich kaum dorthin (trotz des tollen Swimming-pools). Nachdem sowohl die Rezeptionistin als auch die Bedienung im Restaurant ausschließlich bulgarisch sprach, war ich überrascht, dass es zumindest eine Speisekarte auf englisch gab. Als ich jedoch ein Gericht meiner Wahl bestellen wollte und auf die entsprechende Zeile in der Karte deutete, hatte der Ober keine Ahnung, worum es sich handelte, denn die englische und die bulgarische Ausgabe waren nicht identisch. Mit Hilfe von Übersetzungsprogrammen im Internet sowie mit Händen und Füßen klappte es dann doch irgendwie (und die lokale Spezialität aus Hühnerfleisch mit Pilzen und Gemüsen stellte sich als super-lecker heraus). Eigentlich war diese improvisierte Art der Kommunikation sogar ganz lustig.
Weil ich mich generell für Sprachen interessiere und die Menschen im Ausland meistens erfreut sind, wenn man zumindest ein paar Brocken der Landessprache beherrscht, habe ich mir angewöhnt, vor jeder Reise genau diese paar Brocken zu lernen: Ja (bulgarisch: da), nein (ne), danke (blagodarje), bitte (molje), guten Tag (dobar den), auf Wiedersehen (dowischdane) – viel mehr ist es in der Regel nicht, und schon kurz nach Beendigung der Reise vergesse ich das meiste wieder. Gerade bei slawischen Sprachen wie der bulgarischen tue ich mich schwer mit dem Lernen, weil sie sie sich so fundamental von den germanischen oder romanischen (die man in der Schule gelernt hat) unterscheiden. Sehr erschwerend hinzu kommt die kyrillische Schrift. Die zu erlernen mag zwar wesentlich einfacher sein als etwa die chinesische oder japanische – einige Buchstaben sind sogar mit ihren lateinischen Pendants identisch (A, E, K, M, O, T), andere sehen nur so aus (B = V bzw. W, C = S, H = N, P = R , X = Ch, Y = U) und wieder andere Zeichen gibt es bei uns gar nicht. Hinzu kommt, dass das Kyrillische in Bulgarien zwar große Ähnlichkeiten mit dem Kyrillischen in Russland aufweist, doch auch hier gibt es feine Unterschiede. Wer sich also die Mühe gemacht hat beispielsweise vor einer Städtereise nach St. Petersburg ein bisschen die russische Schrift zu studieren, muss in den Rhodopen nochmal ganz genau vergleichen. In jedem Fall braucht es Zeit, um die bulgarische Schrift zu entziffern. Das mag bei der Speisekarte noch angehen (wenn die Bedienung eh lange auf sich warten lässt), beim Autofahren jedoch, wenn nur Sekunden zum Lesen des Straßenschildes bleiben, wird es schon kritisch. Zum Glück sind die meisten Schilder in Bulgarien sowohl in kyrillischer als auch in lateinischer Schrift verfasst. Aber auch die Transkription hat so ihre Tücken. Sie orientiert sich an der englischen Sprache – mit dem Nachteil, dass es manche bulgarischen Laute so gar nicht im Englischen gibt. Deshalb habe ich mich in meinen Reportagen bei allen Eigennamen an die im Deutschen übliche Transkription gehalten (z.B. ch = tsch, ts = z, v = w, y = j).

Wer jetzt (trotzdem) neugierig auf die bulgarische Sprache geworden ist, dem empfehle ich die unten stehende Hörprobe, in der Reiseführerin Biljana Nikolowa ihre Gäste in ihrer Muttersprache begrüßt und die deutsche Übersetzung gleich mitliefert:

Bulgarisches Alphabet mit englischer Transkription

[O-Ton: Biljana Nikolowa]


___________________________________________________

Hier geht's weiter in die Rhodopen und zur Reportage Bulgarien 2.