Kanadas Westen 1

WESTERN-STADT
- Calgary: wo die Cowboys mit den Ölbaronen ...

Spätestens seit den Olympischen Winterspielen 1988 ist Calgary in aller Welt ein Begriff. Albertas zweitgrößte Stadt liegt zu Füßen der mächtigen Rocky Mountains. Von dort aus starten die meisten Kanada-Urlauber zu ihren Touren in die Nationalparks von Banff und Jasper. Aber bevor es hinaufgeht in die herrliche Bergwelt der Rockies, lohnt ein Aufenthalt in der Stadt der Cowboys und Ölbarone.

Reportage (Radio SDR1, 1992):

[Musik: Country-Klänge]

Country-Musik, wohin man hört: auf offener Straße, in berüchtigen Western-Spelunken oder im Radio. Calgary ist stolz auf seinen Ursprung als "cowtown", als Kuhdorf also. Rinderzüchter und Viehhändler waren die ersten Bewohner der Stadt, und noch heute pilgern alljährlich im Juli Tausende von Cowboys zur "Calgary Stampede", dem größten Rodeo der Welt. Von Kuhdorf allerdings kann keine Rede mehr sein. Calgary hat inzwischen mehr als 700.000 Einwohner. Wolkenkratzer prägen das Stadtbild. Einige sind höher als der Aussichtsturm im Zentrum. Trotzdem ist das Panorama von dort noch immer beliebt.

[O-Ton Touristin:]
"Ich find's toll, ich mein', weil man sich erstmal orientieren kann, wenn man hier oben steht, und die verschiedenen Sachen gut erkennen kann: vorne die ganzen sportlichen Klamotten, die Rocky Mountains, den Flussverlauf. Und da kann man mal sehen, wie klein Calgary im Grunde genommen is'."

Klein ist allerdings nur der Downtown-Bereich, das Stadtzentrum. Drumherum wuchert Calgary in alle Richtungen scheinbar endlos aus. Der Olympiapark beispielsweise, Austragungsort der Winterspiele von 1988, liegt fast 20 Kilometer vom Zentrum entfernt, aber dennoch auf Stadtgebiet. Der weite Weg lohnt sich. Bei einer Besichtigungstour wird Olympia '88 wieder lebendig. Vor allem von seiner heiteren Seite. Christine, die Tourbegleiterin, erinnert noch einmal an "Eddie the eagle", den schottischen Schanzen-Clown, oder an den kuriosen Start des Viererbob-Teams aus Taiwan.

Calgary Tower
Aussicht vom Calgary Tower
Blick von der Olympia-Schanze

[O-Ton Christine:]
"They started off to run ...
Sie sind also losgerannt, der erste sprang hinein, der zweite sprang hinein; als der dritte hineinspringen wollte, rutschte er aus, als der Bob schon in voller Fahrt war. Der vierte Mann sah das Malheur, packte den dritten an der Hose und zerrte ihn in den Schlitten. Allerdings kopfüber! Und so fuhren die Taiwanesen den gesamten Eiskanal hinunter, während ihr dritter Mann mit den Beinen strampelte.
... all the way down the track."

An Olympia denken die Calgarianer selbst schon lange nicht mehr. Sie haben andere Sorgen. Die gläsernen Paläste der Ölgesellschaften und prächtigen Einkaufspassagen "downtown" täuschen allenfalls noch Touristen. Der gewaltige Boom, ausgelöst durch schier unerschöpfliche Ölfunde in Alberta, ist vorbei. Die "J.R. Ewings" von Calgary und die vielen, deren Arbeitsplatz von ihnen abhängig ist, denken mit Wehmut an die Zeiten zurück, als die Araber den Ölpreis in die Höhe getrieben haben. Otto Spieker, ein gebürtiger Wiener, sieht die Zukunft seiner Wahlheimat alles andere als rosig.

[O-Ton Otto Spieker:]
"Die Industrie ist heute nicht imstande, diese Ausgaben für Exploration zu decken mit den Einkommen. Dementsprechend sind Hunderte von Bohrtürmen – die liegen herum und sind nicht beschäftigt. Also, das sind Millionenwerte, die hier buchstäblich langsam verrosten, weil der Ölpreis nicht höher is', als er is'."

Aber die Kanadier lassen sich durch eine wirtschaftliche Krise nicht in Depression stürzen. Und Ablenkung gibt es zur Genüge in Calgary. Sport und Spiel, spannende Eishockey-Kämpfe im berühmten Saddledome etwa und die vielen Parks – allen voran der Heritage Park, am Wochenende das Mekka für Familien mit Kindern. Vielleicht weil sie nicht so gern an die Zukunft denken, versinken die Kanadier lieber in der Vergangenheit.

[Atmo: historische Dampfeisenbahn]

Western-Tradition
Ölbohrung
Schaufelraddampfer im Heritage Park

Der Heritage Park ist ein buntes Sammelsurium aus Kanadas kurzer Geschichte. Mit Dampfeisenbahn und Schaufelraddampfer. Dazu eine mehr oder weniger originalgetreu aufgebaute Westernstadt mit Schmiedewerkstatt, Bank, Saloon und was so eben dazugehört zur Wildwest-Atmosphäre. Alles voll eingerichtet und in Betrieb. Auf der Post kann man sogar Briefmarken kaufen. Bei europäischen Besuchern kommen jedoch Zweifel auf, ob das alles so historisch ist, wie es scheint.

[O-Ton Touristin:]
"An sich gefällt mir so 'n Park sehr gut. Also, vor allen Dingen auch diese Inneneinrichtungen, um sich das mal anzusehen. Nur dieses ganze Drumherum mit diesem 'Amusement Center' und so, also, das finde ich dann schon ein wenig überzogen und kitschig. Da hab' ich auch keine Lust mir das anzusehen. Also, wir waren halt vorher schon in Barkerville. Das is' ja so ähnlich wie das hier – obwohl das an sich noch originalgetreuer is'. Also, das hier is' schon mehr wie 'n Vergnügungspark aufgezogen, hab' ich so den Eindruck."

Wer tatsächlich in die Geschichte eintauchen will, der sollte daher lieber das Glenbow Museum besuchen. Dort beginnt die Geschichte nämlich nicht erst mit der Ankunft weißer Siedler, sondern man erfährt auch, wie die Ureinwohner Kanadas, Indianer und Eskimos, gelebt haben und zum Teil noch leben. Alles in allem ist Calgary ein Spiegel des alten und des neuen Kanada. Drum der ideale Ausgangspunkt für eine Reise durch den Westen dieses gigantischen Landes.

 

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