Nordirland 1

DER MYTHOS DES OZEANRIESEN
- Besuch im "Titanic"-Museum von Belfast

Ausgerechnet seine mittlerweile größte Attraktion bringen nur die wenigsten mit Nordirland in Verbindung: die "Titanic", den legendären Ozeanriesen, der im April 1912 auf der Jungfernfahrt von Southampton nach New York mit Mann und Maus versank. Es ist die berühmteste Schiffskatastrophe aller Zeiten. Kaum bekannt ist allerdings, dass die "Titanic" in der nordirischen Hauptstadt Belfast gebaut wurde – bei Harland & Wolff, der damals größten Schiffswerft der Welt. Jahrzehntelang hat man sich dort geschämt für die Katastrophe, aber inzwischen ist erwiesen, dass nicht Konstruktionsfehler schuld waren, sondern viele Faktoren zusammenkamen. Und so wurde genau 100 Jahre nach dem Unglück, im April 2012, das Museum "Titanic Belfast" auf dem ehemaligen Werftgelände eröffnet. Das fast 100 Millionen Pfund teure Bauwerk gilt schon jetzt als Ikone der Architektur. Es hat die Form von vier Schiffsbugs, die sternförmig aufgefächert sind – eine Reminiszenz an die "Titanic"-Reederei "White Star Line". Binnen eines Jahres zählte das neue Museum schon mehr als 800.000 Besucher. Die vielfach verfilmte Geschichte des Ozeanriesen ist eben zum Mythos geworden und bewegt heute noch Alt und Jung.

Reportage (Radio hr4, 15.06.2013:)

[Musik: Titelmelodie aus dem Film "Titanic" von 1997]

Wer erinnert sich nicht an das herzzerreißende Filmepos mit Kate Winslet und Leonardo DiCaprio? Ein überdimensionales Poster der beiden hängt gleich neben dem Eingang zur Ausstellung. Dabei will das Museum nicht die Hollywood-Version erzählen, sondern die wahre Geschichte der "Titanic". Und die beginnt bei Harland & Wolff in Belfast.

(O-Ton Eimear Lewis:)
"We're now at the top …
Wir stehen jetzt ganz oben auf dem Gerüst, in dem die "Titanic" einst gebaut wurde, erklärt Museumsfrau Eimear Lewis. Es ist nur eine Nachbildung und gerade mal ein Drittel so groß, aber es gibt trotzdem eine Vorstellung, in welcher Höhe die Leute arbeiten mussten. Gesundheit und Sicherheit wurden damals nicht sehr ernst genommen. Es gab eine Reihe von Unfällen, aber wenn man überlegt, wie viele Menschen in den vier Jahren hier gearbeitet haben, gab es relativ wenig Todesfälle.
… people that lost their lives."

Die "Titanic" sollte der größte und modernste Passagierdampfer der Welt werden, ein Fünf-Sterne-Hotel auf dem Wasser. Das Belfaster Museum zeigt, wie die Menschen an Bord untergebracht waren.

Museumsführerin Eimear Lewis
3 Millionen Nieten
Opfer Thomas Andrews

[O-Ton Eimear Lewis:]
"We have a luxury stateroom …
Wir haben eine Luxuskabine im Stil einer Suite in der ersten Klasse. Alle Möbel sind exakte Nachbildungen. Sie können sehen, wie die Passagiere sich gefühlt haben müssen. Wir haben auch Kabinen aus der zweiten und dritten Klasse. Und obwohl die dritte Klasse sehr einfach ausgestattet war, setzte sie neue Maßstäbe für die damalige Zeit. Sie hatte fließendes Wasser, Elektrizität – alles Dinge, die die Leute zu Hause nicht hatten.
… their own home in those days."

Leider konnten sie die Annehmlichkeiten nur wenige Tage genießen. Dann wurden die Kabinen für viele Passagiere zum Sarg. "Titanic Belfast" erinnert auch an die Opfer des Unglücks und gibt ihnen einen Namen.

[O-Ton Eimear Lewis:]
"One that's very closely linked to Belfast …
Einer, der sehr eng mit Belfast verbunden war, war Thomas Andrews, der Chefkonstrukteur des Schiffes. Jahrelang hatte er mit seinem Team bei Harland & Wolff an dem Projekt gearbeitet. Sie können sich vorstellen, was es für ihn bedeutete, als ihm klar wurde, was passieren würde. Er ging mit dem Schiff unter, aber ihm und seinen Leuten ist es zu verdanken, dass der Untergang hinausgezögert werden konnte. Damit retteten sie viele Menschenleben, weil sie das Schiff so genau kannten.
… knowing the 'Titanic'-story."

Nachbau einer First-Class-Suite
"Titanic"-Entdecker Robert Ballard
Bug der "Titanic" am Meeresgrund

Es dauerte 73 Jahre, bis der Amerikaner Robert Ballard das Wrack am Grund des Nordatlantiks aufspürte. Im Museum können die Besucher mit dem Meeresarchäologen auf virtuelle Entdeckungsreise gehen.

[zum Anhören klicken: O-Ton Eimear Lewis]

"Here we have the glass floor ...
Hier haben wir den Glasboden. Tausende Fotos von Dr. Ballard wurden zusammengefügt, und Sie können sehen, wie das Schiff heute aussieht, so wie ein Taucher, der über die 'Titanic' hinwegschwimmt. Das gibt Ihnen einen unglaublichen Einblick in die 'Titanic' heute.
... an insight in the 'Titanic' now."

Viel ist allerdings nicht übrig geblieben vom einstigen Stolz der christlichen Seefahrt. Und doch wird der Mythos weiterleben. Hollywood sei Dank!

[Musik: Titelmelodie aus dem Film "Titanic" von 1997]

 

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Hinweis:

Wer nach einem Besuch des Museums Blut geleckt hat und noch mehr über die Herkunft der "Titanic" wissen will, der kann sich auch einer "Titanic Walking Tour" anschließen. Sie startet vor dem Eingang des Museums und führt in rund anderthalb Stunden über das ehemalige Werftgelände von Harland & Wolff, das teils umzäunt und für die Öffentlichkeit ansonsten nicht zugänglich ist. 
Höhepunkt der Tour ist das einstmals größte Trockendock der Welt, in dem hauptsächlich der Innenausbau der "Titanic" vorgenommen wurde. Dort lässt sich am besten erahnen, wie riesig der Ozeanriese gewesen sein muss.
Das Erlebnis "Titanic" in Belfast wird erst komplett durch eine Kombination von Museumsbesuch und "Walking Tour". Deshalb unbedingt zu empfehlen!

 

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ECHTE FUNDE, WAHRE SCHICKSALE
- die "Titanic"-Ausstellung in Speyer (Rheinland-Pfalz)

Ca. 2.200 Menschen waren an Bord der "Titanic", als sie unterging. 2.200 Schicksale. Einige überlebten, viele fanden den Tod. Mehr noch als das Belfaster Museum versucht die Wanderausstellung "Titanic – Echte Funde, wahre Schicksale" den abstrakten Zahlen konkrete Gesichter zu geben. Nachdem sie schon in den europäischen Metropolen Paris, Amsterdam und Brüssel zu sehen war, wird die Ausstellung vom 21. Dezember 2014 bis 28. Juni 2015 erstmals in Deutschland gezeigt und zwar im Historischen Museum der Pfalz in Speyer.
Dort richtet sich der Blick auch ganz bewusst auf die deutschen bzw. deutschstämmigen Passagiere an Bord wie den bayerischen Pfarrer Benedikt Peruschitz, der Gottesdienste an Bord abhielt, oder den hessischen Bäcker August Meyer, der in die USA auswandern wollte. Auch unter der Besatzung waren Deutsche wie der Steward Alfred Theissinger, der Dolmetscher Louis Müller oder die Küchenhilfe Karlo Tietz. Hinter all diesen Namen stecken Geschichten, die in der Ausstellung mehr oder weniger ausführlich erzählt werden.

Allen voran die Geschichte des Ehepaars Isidor und Ida Straus. Sie waren Passagiere der ersten Klasse und bewohnten auf der "Titanic" die Nachbarkabine des Hotel-Magnaten John Jacob Astor. Der Geschäftsmann Isidor Straus war im pfälzischen Otterberg bei Kaiserslautern geboren, mit den Eltern nach Amerika ausgewandert und mit der Kaufhauskette Macy's steinreich geworden. Auch die Familie seiner Frau stammte aus Deutschland. Ida wurde in Worms am Rhein geboren. Nach einem Heimatbesuch buchte das Ehepaar Straus die Rückreise auf der "Titanic". Als das Schiff sank und Ida Straus nach dem Motto "Frauen und Kinder zuerst" ein Rettungsboot besteigen sollte, weigerte sie sich ihren Mann allein zurückzulassen. "Wir haben viele Jahre zusammen gelebt. Wo du hingehst, da gehe auch ich hin", soll sie gesagt haben. Und so überlebte nur ihr Dienstmädchen Ellen Bird, dem die Nachwelt die rührende Geschichte verdankt. Isidor und Ida Straus dagegen fanden gemeinsam den Tod.

Ein glücklicheres Ende hatte die Seereise für Millvina Dean. Die Engländerin war erst wenige Wochen alt, als sie sich mit ihren Eltern und ihrem zweijährigen Bruder Bertram auf der "Titanic" einschiffte. Ihr Vater wollte in die USA emigrieren und in Kansas einen Tabakladen eröffnen. Die Deans gehörten zu den ersten Passagieren der dritten Klasse, die den sinkenden Ozeanriesen verließen. Die beiden Kinder wurden zusammen mit der Mutter in ein Rettungsboot gesetzt und überlebten. Das zu Hilfe geeilte Schiff "Carpathia" nahm sie auf und brachte sie nach New York. Der Vater kam wie die meisten Männer bei dem Unglück ums Leben. Millvina Deans Schicksal wird vor allem deshalb in der Ausstellung geschildert, weil sie nicht nur der jüngste Passagier, sondern am Ende ihrer Tage auch die älteste und letzte Überlebende der "Titanic" war. Sie starb erst 2009 im Alter von 97 Jahren. Ihr Bruder war bereits 1992 gestorben – am 14. April, also auf den Tag genau 80 Jahre nach dem Untergang der "Titanic".

Kapitän Edward J. Smith: Für den erfahrenen Seemann der "White Star Line" sollte die Jungfernfahrt der "Titanic" die letzte große Fahrt vor dem wohlverdienten Ruhestand sein. Er ging mit seinem Schiff unter.

Der Heizer Augustus Stanbrook ging mit der "Titanic" unter.

Der junge Kohlentrimmer George Kearl ging mit der "Titanic" unter.

Die Schauspielerin Dorothy Gibson war ein amerikanischer Stummfilmstar. Sie überlebte das Unglück und spielte in der ersten "Titanic"-Verfilmung von 1912 sich selbst.

 

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DIE "TITANIC"
- 10 Gründe für den Mythos

Der Untergang der "Titanic" war nicht die erste Schiffskatastophe in der Geschichte der Seefahrt und auch nicht die letzte. Mit rund 1.500 Toten war es nicht einmal die schlimmste. Beim Untergang der "Wilhelm Gustloff" in der Ostsee kurz vor dem Ende des 2. Weltkriegs kamen mehr als 9.000 (!) Menschen ums Leben.
Trotzdem ist keine Schiffskatastrophe nur annähernd so legendär geworden wie die der "Titanic". Woran mag das wohl liegen? Warum kamen innerhalb eines Jahres nach der Eröffnung des Museums "Titanic Belfast" schon fast doppelt so viele Besucher wie erwartet?
Ich habe 10 Gründe gefunden, die zur Erklärung des Mythos' beitragen könnten (vielleicht gibt es noch mehr?):

01) Die "Titanic" war das seinerzeit größte und modernste Passagierschiff der Welt.

02) Die "Titanic" galt als unsinkbar.

03) Die "Titanic" sank auf der Jungfernfahrt.

04) Das Unglück passierte vermeintlich auf der Jagd nach dem "Blauen Band" für die schnellste Atlantik-Überquerung (ist aber wohl nur eine Legende). Immer wieder wurde diskutiert, ob die Katastrophe hätte gemildert oder gar vermieden werden können, wenn die "Titanic" langsamer unterwegs gewesen wäre.

05) Die "Titanic" rammte einen Eisberg, von dem ja bekanntlich nur ein Siebtel aus dem Wasser ragt. Damit wurde eine Urangst vieler Schiffsreisenden vor den unsichtbaren Gefahren des Ozeans bestätigt.

06) Die "Titanic" hatte zu wenige Rettungsboote.

07) Die "Titanic" hatte viele der seinerzeit Reichen und Berühmten an Bord.

08) Die "Titanic" war von England nach Amerika unterwegs. Das brachte ihr mehr Aufmerksamkeit ein, als wenn sie in irgendeinem anderen Teil der Welt gesunken wäre.

09) Es dauerte mehr als 70 Jahre, bis das Wrack der "Titanic" gefunden wurde.

10) Kein anderes Schiffsunglück wurde so oft verfilmt (mind. 11 mal). Allerdings stellt sich hier gleich die nächste Frage von Ursache und Wirkung: Ist der Untergang der "Titanic" so legendär, weil er so oft verfilmt wurde, oder wurde er so oft verfilmt, weil er so legendär ist?

 

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Hier geht's weiter zu den Spuren der "Troubles" und Nordirland 2.