Argentinien 1

EROTIK UND TEMPERAMENT
- Tango in Buenos Aires

Kaum eine Musik ist so eng mit ihrem Ursprungsland verbunden wie der Tango. Argentinien und der Tango gehören untrennbar zusammen wie Spanien und der Flamenco. Vor allem in der Hauptstadt Buenos Aires begegnet man der Tango-Musik auf Schritt und Tritt. Wenn auch die Jugend Argentiniens sich längst anderen Rhythmen zugewandt hat, so wird der Tango doch zumindest für die zahlreichen Touristen am Leben erhalten. Von Amateuren auf den Straßen und Plätzen, von Profis in den einschlägigen Tango-Lokalen.

Reportage (Radio SDR1, 1994; hr3 1994):

[Musik: Tango-Musik des Sexteto Mayor]

Das Sexteto Mayor ist eine der bekanntesten argentinischen Tango-Kapellen. Seine Musik bildet den Höhepunkt einer Show im Tango-Lokal "Michelangelo". Und wenn dann noch zu seinen Klängen gesungen und getanzt wird, sind die Besucher hingerissen. Liebe und Eifersucht, Zärtlichkeit und Temperament - das alles drücken die Musiker mit ihren Instrumenten, die Sänger mit ihren Stimmen und die Tänzer mit ihren Bewegungen aus. Und der Tango weckt auch bei den Zuschauern Emotionen.

[O-Töne Touristen:]
"Natürlich erotische, weil es ein erotischer Tanz ist."
"Einfach das Feeling von Buenos Aires und seinen Leuten."
"Find' ich toll. Was soll ich sagen? Einfach faszinierend. Das ist rhythmisch – wahnsinnig. Also, unsere Tangos, das was man bei uns spielt, das kann man nicht vergleichen. Das is' natürlich original."

Original ist zumindest der Schauplatz. Das "Michelangelo" liegt wie die meisten Tango-Lokale mitten in San Telmo, dem Viertel von Buenos Aires, wo der Tango vor etwa hundert Jahren geboren wurde. Ursprünglich lebten dort viele schwarze Sklaven aus dem südlichen Afrika und der Karibik, besonders aus Kuba. Sie verbanden ihre traditionellen Rhythmen mit dem andalusischen Tanguillo. Aus diesen Komponenten entwickelte sich der Tango. Bis er aber seine große Popularität erreichte, war es noch ein langer Weg.

[O-Ton Stadtführerin Monica:]
"As the tango was born ...
Weil der Tango in San Telmo geboren wurde, erzählt Stadtführerin Monica, in einem Viertel also, wo viele Schwarze und arme Leute wohnten, boykottierten ihn die Reichen von Buenos Aires. Nur die Leute von San Telmo hörten die Tango-Musik. Erst Carlos Gardel, der berühmteste Tango-Sänger überhaupt, brachte den Erfolg. Und es heißt, dass der Tango zuerst in Paris Erfolg hatte, dann in New York und dann erst zu Hause in Argentinien.
... in New York and then in Argentina."

Und inzwischen hat er von seiner Popularität wieder einiges eingebüßt. Das Show-Publikum im "Michelangelo" besteht überwiegend aus Touristen. Porteños, wie die Bürger von Buenos Aires genannt werden, sucht man hier meist vergebens. Die berühmte Tango-Bar "Viejo Almacén" musste wegen Besuchermangels schließen, und auch in vielen anderen Bars spielen die Kapellen vor eher spärlicher Kulisse. Die Jugend von Buenos Aires geht lieber in Spielhallen und hört dröhnende Rock-Musik. Der Tango gerät ins kulturelle Abseits. Darüber kann auch der gut besuchte Tango-Markt im heutigen Künstlerviertel San Telmo nicht hinwegtäuschen.

Ehem. Tango-Bar "Viejo Almacén"
Tango-Geklimper in der "Confitería Ideal"
Caféhaus in Buenos Aires

[Atmo: Grammophon-Musik]

Eigentlich ist er ein Antiquitätenmarkt, doch Tango-Musik kommt nicht nur aus alten Grammophonen, die dort angeboten werden, Tango spielen auch die Straßenmusikanten, die den Marktplatz säumen. Ein gut inszeniertes Spektakel, doch eher originell als original. Und die Besucher sind wiederum fast ausschließlich Touristen. Dennoch hat der Tango auch unter den Einheimischen noch eine kleine Fangemeinde – eine grau-melierte zwar, aber umso treuere. Sie trifft sich zum Beispiel in der "Confiteria Ideal".

[Atmo: Hammond-Orgel-Musik]

Die alten Caféhäuser von Buenos Aires – wie die "Confiteria Ideal" – pflegen die Tradition. Live-Musik gehört so selbstverständlich dazu wie die stilecht schwarz-weiß gewandeten Kellner. Hier sind die Touristen noch in der Minderheit. Und doch sollte keiner der Hauptstadt den Rücken kehren, ohne ein solches Caféhaus besucht zu haben. Denn das Ambiente erinnert noch an die gute alte Zeit um die Jahrhundertwende, als der Tango geboren wurde und Argentinien zu den reichsten Ländern der Welt gehörte.

[O-Töne Touristen:]
"Man könnte meinen, dass hier die Großgrundbesitzer mal früher gewesen wären oder dass es auch ein Café gewesen wäre für Offiziere. Auch die Deckenlampen, die Deckenmosaike zum Teil, erinnern mich etwas an Jugendstil."
"Ja, also, wenn man zunächst 'rein kommt, fühlt man sich an ein Wiener Caféhaus erinnert. Aber bei näherer Betrachtung ist es dann doch nicht so gemütlich. Es hat nicht diesen Zuckerbäckerstil, stammt offenbar aus dem Beginn des Jahrhunderts, ist sehr dunkel, sehr kühl – die ideale Oase, wenn's draußen heiß ist und man sich irgendwo zurückziehen will und in Ruhe einen Kaffee oder ein Getränk zu sich nehmen will."

Wer also das alte Buenos Aires sucht, der findet es auch. Und was speziell den Tango betrifft, so kann noch nicht alles verloren sein, so lange der Sänger Carlos Gardel selbst Jahrzehnte nach seinem Tod noch mindestens ebenso populär ist wie Fußballstar Diego Maradona. Und Musiker wie das Sexteto Mayor tun allabendlich ihr Bestes, damit die Erinnerung an ihn und seine Musik lebendig bleibt.

[Musik: Tango-Musik des Sexteto Mayor]

 

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Hier geht's zu den Gletschern Patagoniens und der Reportage Argentinien 2.