Argentinien 2

FRÖHLICHE EISZEIT
- Gletscherdonner in Patagonien

Der Kontrast könnte nicht größer sein: von der Urbanität der Millionenstadt Buenos Aires in die einsame Steppenlandschaft Patagoniens, in das kleine Provinznest Calafate am Fuße der Anden. Es ist eine menschenfeindliche Gegend – trocken und meist kalt. Ein unangenehmer Wind wirbelt den staubigen Boden auf. Doch hier, ganz im Süden des südamerikanischen Kontinents, offenbaren sich seine vielleicht schönsten Naturwunder – die Gletscherriesen rund um den Lago Argentino.

Reportage (Radio SDR1, 1994; hr3, 1994):

[Geräusch: Donnergrollen]

Mit Donnergetöse stürzen sie bis zu 80 Meter tief in den Lago Argentino: tonnenschwere Eisbrocken von der Kante des Moreno-Gletschers. Der Gletscher kalbt, sagen die Fachleute. Das warme Sonnenlicht bringt das Eis zum Schmelzen und ist Ursache für ein Naturschauspiel, das die Besucher aus nächster Nähe miterleben können. Eine von blühenden Sträuchern bewachsene Landzunge, die in den See hineinragt, gewährt den Logenblick auf das einzigartige Spektakel.

[O-Töne Touristen:]
"Es ist überwältigend, einzigartig. Man wird stumm."
 - Wie geht's Ihnen?
"Mir natürlich ähnlich. Obwohl ich schon mal nach Grönland, Labrador bis Ost-West-Passage gesegelt bin und so was in ähnlicher Form kenne, nich? Wenn auch vielleicht nicht in diesen Dimensionen wie sie hier jetzt gerade sind, nich?"
"Das wird nicht alle Tage geboten. Und zwar kenn' ich die Gletscher von den Alpen in Europa. Die sind also nicht in einer so großen Dimension... also und auch in der Höhe nicht. Das, wie es heißt, kann man zu den 8. Weltwunder zählen."

Und das sieht die UNO ähnlich. Drum hat sie den Moreno-Gletscher, benannt nach dem Forscher Perito Moreno, als Naturschatz der Menschheit unter besonderen Schutz gestellt. Schließlich gehört der weiße Riese nicht nur zu den höchsten und schönsten seiner Art, er ist auch einer der wenigen Gletscher auf der Welt, die immer noch wachsen. Wenn Reiseleiterin Fabiana das Phänomen zu erklären versucht, klingt das allerdings nach Fachchinesisch.

[O-Ton Reiseleiterin Fabiana:]
"Der Moreno-Gletscher hat wahrscheinlich einen tiefen Abhang, deshalb rutscht er noch vorwärts. Denn in der letzten Zeit hat er ja nicht zugemacht an der Magallanes-Halbinsel. Das heißt, dass er nicht so arg vorwärts schubst wie vor sechs Jahren ungefähr. Also, bis zum letzten Durchbruch ging's noch. Da sagte man, er hat 33 Zentimeter am Tag gewachsen, nich? Aber jetzt, äh, sagen sogar die letzten Forscher, die hier kamen – das waren Japaner – dass der Gletscher nicht mehr zumachen wird, also nicht dicht-, äh, zumachen wird und dass es keinen Abbruch mehr geben wird oder keinen Durchbruch mehr geben wird."

Einfacher ausgedrückt: Nichts Genaues weiß man nicht, die Experten rätseln noch. Am kühlen Klima allein jedenfalls kann es nicht liegen, denn alle anderen Gletscher Patagoniens haben ebenfalls den Rückzug angetreten. Beeindruckende Naturschauspiele bieten sie trotzdem. Vor allem der 60 Kilometer lange und 6 Kilometer breite Uppsala-Gletscher, einer der größten der Welt. Man erreicht ihn nach einer zweistündigen Bootsfahrt über den Lago Argentino. Und je mehr man sich dem Gletscher nähert, desto häufiger treiben tiefblau gefärbte Eisberge auf dem See.

Moreno-Gletscher
Blaue Eisberge am Uppsala-Gletscher
Steife Brise über dem Lago Argentino

[O-Ton Reiseleiterin Fabiana:]
"Die Vorderseite des Uppsala-Gletschers schwimmt auf dem See. Und der See reißt mit Flut und Ebbe so riesengroße Stücke ab, weil er eben nicht auf'm Grund liegt. Nur die Vorderzunge des Gletschers, ungefähr 10 Kilometer, schwimmen auf dem Wasser."

Die Eisberge können dem Ausflugskatamaran zwar nicht gefährlich werden, wohl aber der stürmische Wind, der über den See fegt, sodass sich die Passagiere an Deck gut festhalten müssen, um nicht über Bord zu gehen. Trotzdem hält es kaum einen im Innenraum des Bootes, denn die schneebedeckten Andengipfel, die Eisberge und Gletscherzungen fordern zum Fotografieren geradezu heraus. Für viele Patagonien-Reisende ist die Uppsala-Expedition das herausragende Erlebnis.

[O-Töne Touristen:]
"Wir haben schon Gletscher gesehen, aber in dieser Größe und in dieser bizarren Form wie hier eigentlich noch nie."
"Es hat uns sehr gefallen, und ich finde es ganz grandios. Das kann man auf gar keinen Fall vergleichen mit allem, was ich von Europa kenne."
"Auch die Organisation, die Sauberkeit des Bootes, alles tipptopp. Auch das Essen war sehr gut hier am Lago Ornelli, und ich bin restlos begeistert. Von Deutschland reichlich weit weg, aber ich find', es lohnt sich."

Die Tagestour mit dem Katamaran bietet einen Einblick in die unzugängliche Gletscherwelt Patagoniens, der nur vom Boot aus möglich ist. Drei große Gletscher sowie ungezählte mittlere und kleine – alles an einem Tag. Trotzdem keine Übersättigung, denn jeder Gletscher ist anders. Manche der bizarren Gebirge aus Eis scheinen wie von Bildhauerhand geschaffen. Sie regen die Fantasie an. Und nur ein Banause denkt dabei, wie geschehen, sehnsüchtig an die Hotelbar und einen Martini on the rocks.

[Geräusch: klimpernde Eiswürfel]

 

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