Deutsche Märchenstraße 2

SCHNEEWITTCHEN UND DIE SIEBEN ZWERGE
- zu Gast in der Besuchermine Bergfreiheit

"Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die Schönste im ganzen Land?" Die Antwort kennt jedes Kind: natürlich das Schneewittchen über den sieben Bergen bei den sieben Zwergen.
Reales Vorbild für die Märchenfigur könnte die bildschöne Grafentochter Margaretha von Waldeck aus Bad Wildungen gewesen sein. Sie wurde einst an den Hof Kaiser Karls V. geschickt, um dort eine gute Partie zu machen. Doch als Kronprinz Philipp sich in sie verliebte, war der Hof alarmiert, denn der Prinz sollte aus dynastischen Gründen die englische Königstochter Mary Tudor heiraten. Und dann starb Margaretha plötzlich eines mysteriösen Todes. Sehr wahrscheinlich wurde sie vergiftet.
Das alles herausgefunden hat der Hobby-Historiker Eckhard Sander. Und er ist überzeugt, dass auch die sieben Zwerge reale Vorbilder haben: im Bad Wildunger Ortsteil Bergfreiheit. Das sogenannte Schneewittchen-Dorf im Kellerwald ist eine weitere Attraktion an der Deutschen Märchenstraße. Vor allem wegen seiner Besuchermine, wo früher zwergenartige Menschen nach Erz gegraben haben:

Reportage (Radio SWR4 RP, 01.04.2018):

Im tief verschneiten Kellerwald fällt es nicht schwer an Schneewittchen zu denken. Normalerweise ist die Besuchermine Bergfreiheit im Winter geschlossen. Aber Eckhard Sander macht heute eine Ausnahme. Das Bergwerk, erzählt er, gehörte einst den Grafen von Waldeck.

[zum Anhören klicken: O-Ton Hobby-Historiker Eckhard Sander]

"Hier wurde Kupfererz abgebaut, relativ wertvolles Kupfer, und dieses nutzte man unter anderem neben dem Kochgeschirr auch um Münzen zu prägen. Die Grafen legten Wert auf Münzrecht, und da waren diese Kupferbergwerke schon eine lohnende Einnahmequelle."

In Grimms Märchen heißt es, dass die sieben Zwerge "in den Bergen nach Erz hackten und gruben". War es tatsächlich hier im Bergland des Kellerwaldes? Sanders akribische Forschungsarbeit führte ihn unter anderem ins Staatsarchiv nach Marburg. Dort hat er Dokumente gefunden, die eindeutig belegen, dass im 16. Jahrhundert auch Kinder in der Mine von Bergfreiheit gearbeitet haben.

[O-Ton Eckhard Sander:]
"Das geht teilweise bis zu acht Jungen, die da mithelfen mussten und die Steine sortieren, auslesen, klopfen usw. Die mussten auch Wasser holen und diese Botengänge machen, und das war leider, leider auch über 'ne lange Zeit."

Ein harter Job also für die Kinder der Bergleute, mit fatalen Folgen:

Eckhard Sander in der Besuchermine
12 Stunden arbeiten ohne Tageslicht
Zwerg mit Zipfelmütze (Foto: Sander)

[O-Ton Eckhard Sander:]
"Sie können sich sicherlich vorstellen, wenn diese Kinder das Sonnenlicht zwölf Stunden am Tag nicht gesehen haben und dann ans Tageslicht kamen, dass das nicht ausreichte, um eine normale Entwicklung zu durchlaufen. Wenn die vor der Geschlechtsreife schon in dem Bergwerk gearbeitet haben, dann hat sich die Geschlechtsreife rausgezogen bis ins 20. Lebensjahr, und der Mensch ist umgekippt in den Greisenzustand."

Wenn sie abends ins Dorf zurückkehrten, sah es so aus, als würden Zwerge aus dem Wald kommen. Ein Übriges taten sicherlich die Zipfelmützen, die sie bei der Arbeit trugen.

[O-Ton Eckhard Sander:]
"Das waren eigentlich Filzkappen, die wurden ausgestopft mit Stroh und hatten den Sinn, wenn der Bergmann mit dem Zipfel oben an den Berg kam, dann merkte er, ich muss den Kopf einziehen."

Die Besucher heutzutage tragen Bauhelme aus Sicherheitsgründen. Das ist auch bitter nötig, denn die Stollen des Bergwerks sind niedrig. Es ist zudem feucht und kalt. Das Herz erfreuen können höchstens die kunterbunten Wände aus verschiedensten Gesteinsarten. Interessante Muster zeigen sich da. Eines schaut sogar aus wie ein Zwerg mit Zipfelmütze. Na, wenn das nicht der endgültige Beweis dafür ist, dass das Märchen vom Schneewittchen hier im Kellerwald seinen Ursprung hat!

 

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SIEBEN TELLERLEIN, SIEBEN BECHERLEIN
- das Schneewittchen-Haus in Bergfreiheit

Neben der Kupfermine, wo an Zwerge erinnernde Kinder schuften mussten, hat Eckhard Sander noch andere Hinweise gefunden, dass in dem kleinen Ort Bergfreiheit bei Bad Wildungen das Märchen vom Schneewittchen entstanden sein könnte. Weil der Boden karg und Landwirtschaft somit nicht möglich war, lebten im 16. Jahrhundert keine Bauern im Dorf, wie es sonst allgemein üblich war, sondern ausschließlich Bergleute. Um Platz und Geld zu sparen, bauten sie sich sogenannte Einraumhäuser, wo die ganze Familie eng zusammengepfercht in einem einzigen Raum wohnte. Eines dieser Häuser wurde inzwischen restauriert und in ein kleines Museum verwandelt. In diesem "Schneewittchen-Haus" findet man dann in einem Raum sieben Bettlein an den Wänden, auf dem weißgedeckten Tischlein sieben Tellerlein, Messerlein, Gäblein und Löffelein sowie sieben Becherlein – ganz so wie es aus dem Märchen bekannt ist.
Diese Einraum-Bauweise gab es so nur in Bergfreiheit, nirgendwo anders in Deutschland. Aber der Hobby-Historiker Sander hat noch ein weiteres gewichtiges Argument für seine These vom Schneewittchen-Ursprung:

[zum Anhören klicken: O-Ton Eckhard Sander]

 

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Hier geht's weiter zu den Gebrüdern Grimm und der Reportage Deutsche Märchenstraße 3.