Rund um den Ith 1

PFIFFIGER KIDNAPPER
- mit dem Rattenfänger durch Hameln

Wer vom Ith-Turm auf dem Lauensteiner Kopf nach Nordwesten blickt, sieht in der Ferne die Ausläufer von Hameln. Die 60.000-Einwohner-Stadt an der Weser ist in der ganzen Welt bekannt. Schuld daran ist die Rattenfängersage, aufgezeichnet von den Gebrüdern Grimm, in 30 Sprachen übersetzt und in vielen Ländern Standardprogramm im Schulunterricht. Ob es den Rattenfänger je gegeben hat, ist bis heute nicht geklärt, aber der Mythos lebt. Fast vier Millionen Touristen kommen alljährlich nach Hameln. Zum einen wegen der herrlichen Altstadtfassaden im Stil der Weser-Renaissance, vor allem aber, um auf den Spuren des sagenhaften Kidnappers zu wandeln. Jenem Pfeifer, der die Stadt im Mittelalter von einer Rattenplage befreite und dann, weil ihm der verdiente Lohn verwehrt wurde, furchtbare Rache nahm und die Kinder der Stadt entführte. Ein ähnliches Schicksal erleben heutzutage die Besucher von Hameln. Bei einer Stadtführung mit dem Rattenfänger werden auch sie in seine mystische mittelalterliche Welt entführt. Doch im Gegensatz zu den Kindern in der Sage kommen sie am Ende wieder heil heraus.

Reportage (Radio hr4, 28.01.2006; hr-iNFO, 18.02.2006):

[zum Anhören klicken: komplette Reportage]

[Atmo: Pfeifer spielt Klarinette]

Es ist fast wie in der alten Sage: Der Pfeifer schreitet vorne weg und wir Touristen immer schön hinterdrein. Wie der echte Rattenfänger hieß – wenn es ihn denn je gegeben hat – und woher er kam, weiß keiner. Der Rattenfänger von heute heißt Michael Boyer und kommt aus den USA! Seit mehr als zwanzig Jahren schon führt er Besucher im bunten Kostüm durch Hameln, dudelt dazu auf der Klarinette und erzählt mit herrlichem Akzent immer wieder die gleiche Geschichte von seinem berühmten Vorbild:

[O-Ton Michael Boyer:]
"Er kam, um die Stadt von den Ratten zu befreien und führte dann die Ratten weg. Aber die Hamelenser, geizig wie sie seit Jahren waren – und immer noch ein bisschen sind – die haben ihn nicht bezahlt. Diese schnöde Tat hat er nicht verstehen können, sagte, ich nehm' die jungen Leute mit, damit sie nicht bei diesen geizigen Eltern bleiben. Da kriegen sie nie eine Eiscreme, nie einen Bubblegum an der Kasse, deshalb nahm er die jungen Leute mit – weg!"

Zu einer Höhle im Ith-Gebirge soll der Pfeifer sie geführt haben, von wo sie niemals wiederkehrten. Was dran ist an der Rattenfängersage, weiß auch Michael Boyer nicht. Gesichert scheint nur, dass anno 1284 tatsächlich 130 Jugendliche aus Hameln spurlos verschwunden sind. Keine kleinen Kinder, wie es in Grimms Märchen zu lesen ist, und auch keine Ratten.

[O-Ton Michael Boyer:]
"Es handelt sich nur um junge Leute, die hier in diesen Seitenstraßen wohnten. Der Pfeifer kam hier durch, am 26. Juni, und er holte lauter heiratsfähige Teenager ab. Zweite Söhne, dritte Töchter, diejenigen, die keine Mitgift mitbekommen würden. Diejenigen, die das Geschäft vom Papa nicht erben könnten. Diese Leute hatten keine Zukunft. Deshalb zogen sie fort, sagt man, gen Osten!"

[Atmo: Pfeifer spielt Klarinette]

Der Rundgang auf den Spuren des ominösen Rattenfängers führt durch enge Gassen mit winkligen Fachwerkhäusern und durch breit angelegte Straßen mit prachtvollen Patrizierhäusern. Gerade hier wird zumindest eines deutlich: Hameln war eine wohlhabende Kaufmannsstadt und gilt heute als Musterbeispiel für die Weser-Renaissance. Die Fassaden sind reich verziert mit Erkern und allerlei Schnickschnack.

Rattenfänger-Denkmal in Hameln
Weser-Renaissance am Leisthaus
Michael Boyer zeiht alle in den Bann

[O-Ton Michael Boyer:]
"Oben im Giebelbereich sehen Sie Obelisken, die hochragen, schneckenförmige Voluten in grün und ein goldener Kopf, der schaut 'n bisschen hämisch auf uns runter. Dies ist ein Neidkopf und sollte die neidischen Blicke des popligen Volkes von der Fassade erwidern (lacht böse). Arme Schlucker (lacht wieder)!"

[Atmo: Pfeifer spielt Klarinette]

Er ist schon ein Pfiffikus, unser Rattenfänger. Und so verführerisch wie sein Flötenspiel sind auch die leckeren Souvenirs der Bäckereien von Hameln. Es gibt Mürbeteigratten, Laugenbrezelratten, Schokoladenratten und und und. Der Klassiker, erklärt uns Michael Boyer, sind die Brotratten aus Roggen und Salzteig – schön anzusehen, aber nicht zum Verzehr geeignet.

[O-Ton Michael Boyer:]
"Sie sind steinhart und sie halten nahezu ewig, wenn Sie keinen Schäferhund daheim haben oder Japaner zu Besuch. Wir kriegen immer diese Schreiben aus Japan, dass die Brotratten nicht schmecken. Das wissen wir. Sie haben's irgendwie nicht verstanden, sie futtern sie trotzdem."

Und dennoch ist man in Hameln stolz auf die Besucher aus aller Welt. Sie kommen in Scharen, um einen Mann zu sehen, den es vielleicht nie gegeben hat. Nur Michael Boyer, den gibt es wirklich. Humorvoll und kenntnisreich, wie er ist, hat der gebürtige Amerikaner uns seine Wahlheimat näher gebracht und dabei alle in seinen Bann gezogen.

[O-Töne Touristen:]
"Er macht das ja sehr, sehr gut und er zeigt, glaub' ich, die Widersprüche und den Humor der Hamelner ganz deutlich."
"Super, ganz tolle Innenstadt, also ganz begeistert."
"Sehr gut, werd' mich lange dran erinnern."

[Atmo: Pfeifer spielt Klarinette]

 

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