Nouvelle Aquitaine 1

ZEITREISE INS MITTELALTER
- auf den Spuren Eleonores von Aquitanien in Poitiers

Wer von Paris oder von Deutschland aus mit dem Zug nach Bordeaux reist, kann in einem Rutsch durchfahren oder unterwegs einen Zwischenstopp einlegen. Zum Beispiel in Poitiers, ganz im Norden der Region Nouvelle Aquitaine. Das historische Zentrum der Stadt hat bis heute sein mittelalterliches Erscheinungsbild bewahrt. Viele Bauwerke reichen bis in die Zeit der Eleonore von Aquitanien zurück. Als Tochter eines Herzogs wurde sie um 1124 in Poitiers geboren und ist 1204 dort auch gestorben. In ihrem langen und bewegten Leben stieg sie auf zur Herzogin von Aquitanien, zur Königin von Frankreich und später zur Königin von England. Sie gilt als einflussreichste Frau des Mittelalters in Europa [mehr siehe unten]. In ihrer aquitanischen Heimat wird sie noch heute verehrt. Besonders in ihrer Geburtsstadt hat sie viele Spuren hinterlassen, die man bei einem geführten Rundgang entdecken kann.

Reportage (Radio SWR4 RP, 21.05.2023):

Wir starten unsere Tour durch Poitiers an einem Aussichtspunkt jenseits des Flusses Clain. Von hier oben kann man die gesamte Altstadt überblicken. Auffällig sind vor allem die zahlreichen Kirchen. Allen voran die mächtige Kathedrale Saint-Pierre. Dorthin führt jetzt unser Weg. Die Kathedrale wurde zu Lebzeiten Eleonores von Aquitanien erbaut. Daran erinnert eines der gut erhaltenen Buntglasfenster, erklärt uns Agnès Hubert vom Fremdenverkehrsamt:

[zum Anhören klicken: O-Ton Agnès Hubert]

"Das Buntglas wurde von Eleonore als Geschenk gegeben. Da unten sieht man zwei Leute, und links ist eine Frau, das ist Eleonore von Aquitaine, die das Buntglas schenkt mit ihrem Mann, und das ist ein bisschen wie ein Sponsor."

Aussicht auf die Altstadt von Poitiers
In der Kathedrale Saint-Pierre
Von Eleonore gestiftetes Buntglasfenster

In unserer Zeit, meint sie, würde man vielleicht ein Messingschild mit dem Namen einer Sparkasse anbringen, die das Fenster gestiftet hat. Und sie führt uns weiter zum Palast der Grafen von Poitou. Heute wird das Gebäude für Ausstellungen genutzt, aber es hat eine lange Geschichte:

O-Ton Agnès Hubert:
"Das war also früher im Mittelalter der Palast von Eleonore von Aquitaine. Da kann man die drei Kamine sehen, die riesigen Kamine, und sogar reingehen, aber man kann schon merken, wie die Feste großartig waren. Das ist das größte zivile Gebäude vom 13. Jahrhundert."

Weiter geht es durch die belebte Fußgängerzone mit vielen kleinen Geschäften und Straßencafés in Richtung Rathaus. In seiner prächtigen Fassade ist ebenfalls ein Buntglasfenster eingelassen, das die berühmteste Frau der Stadt zeigt. Tagsüber bei Sonnenschein allerdings von außen kaum zu erkennen.

Eingang zum Palast
Palast der Grafen von Poitou innen
Eleonore im Fenster des Rathauses

[O-Ton Agnès Hubert:]
"Man kann das Gesicht sehen. Ich kann das sehen, weil ich weiß, dass es da ist. Wenn man heute Abend zurückkommt, kann man sehen, dass es Eleonore von Aquitaine ist auf der Fassade vom Hôtel de Ville, vom Rathaus von Poitiers."

Abends ist das Fenster von innen beleuchtet. Also kehren wir später zurück und erkennen Eleonore im himmelblauem Kleid, mit Krone auf dem Haupt, wie sie eine Delegation der Bürger empfängt. Huldvoll, ganz die milde Herrscherin, die viele in ihr sehen möchten.
Jetzt, am Ende des Tages, ist auch die Zeit gekommen eine kleine Bilanz zu ziehen: Poitiers, da sind wir uns alle einig, ist vielleicht keine ganze Reise wert, aber einen Zwischenstopp auf jeden Fall:

[O-Ton Touristin:]
"Ja, absolut, denn das ist sehr französisch, also man findet auch viele Ecken, die anregen dazu sich hinzusetzen und draußen zu sein, wenn das Wetter schön mitmacht, und die Lage, dieses Hügelige, dass man auch hoch auf den Berg kann, dann runter auf die ganze Stadt schauen kann, finde ich persönlich sehr schön."

 

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ELEONORE VON AQUITANIEN
- eine Powerfrau aus dem Hochmittelalter

Im Südwesten Frankreichs, vielleicht sogar in ganz Frankreich, kennt sie jeder. In Deutschland ist sie nur wenigen ein Begriff: Eleonore von Aquitanien, die Powerfrau aus dem 12./13. Jahrhundert. Wer war die Dame? Warum wird sie heute noch in ihrer Heimat verehrt?
Für eine historische Figur des Mittelalters weiß man relativ viel über sie, aber längst nicht alles. So ist nicht einmal ganz sicher, ob sie wirklich in Poitiers geboren wurde. Auch das genaue Geburtsjahr ist nicht bekannt. 1124 oder doch schon 1122? Ihr Vater jedenfalls war Wilhelm X. von Aquitanien, einem damals unabhängigen Herzogtum im Südwesten des heutigen Frankreichs. Schon als Kind lernte sie lesen, sowohl in ihrer Landessprache Okzitanisch als auch in Latein (für ein Mädchen keineswegs selbstverständlich zu ihrer Zeit). Und die kleine Prinzessin wuchs heran zu einer schönen, intelligenten, humorvollen jungen Dame – wie Zeitgenossen sie beschrieben haben.
Als ihr Vater 1137 während einer Pilgerfahrt nach Santiago de Compostela starb, wurde Eleonore seine Nachfolgerin (ihr einziger Bruder war schon früh verstorben). Im zarten Alter von gerade mal 13 bzw. 15 Jahren, je nach dem, welches Geburtsdatum man zu Grunde legt.
Um seine Herrschaft auf Aquitanien auszudehnen, drängte der französische König Ludwig VI. auf eine Heirat seines Sohnes mit der jungen Herzogin. Dann ging alles ganz schnell. Nach nur wenigen Monaten fand die Hochzeit statt, kurz darauf starb Ludwig VI., und Eleonores Gemahl folgte ihm als Ludwig VII. auf dem Königsthron. So stieg die Herzogin von Aquitanien noch im selben Jahr 1137 zur Königin von Frankreich auf. Die Ehe währte 15 Jahre lang, verlief aber nicht glücklich. Eleonore brachte zwei Töchter zur Welt, doch der ersehnte männliche Nachkomme blieb aus. Offiziell wegen zu enger Blutsverwandtschaft zwischen den Gatten wurde die Ehe 1152 vom Papst annulliert.
Eleonore war nun zwar nicht mehr Königin von Frankreich, aber immer noch Herzogin von Aquitanien und als solche auf dem Heiratsmarkt nach wie vor begehrt. So verwundert es nicht, dass es wiederum nur wenige Monate dauerte, bis sie erneut vor den Traualtar trat. Diesmal mit Heinrich Plantagenêt, Herzog der Normandie und Anwärter auf den Thron von England. Schon zwei Jahre später, 1154, starb der englische König Stephan, und Eleonores Ehemann wurde als Heinrich II. sein Nachfolger. Er war fortan einer der mächtigsten Herrscher Europas. Sein Machtbereich beschränkte sich nicht nur auf England, sondern auf die gesamte Westhälfte des heutigen Frankreichs (u.a. mit der Normandie und Aquitanien).
Im Gegensatz zu ihrem ersten Ehemann kam Eleonore mit dem zweiten besser aus. Zumindest anfangs. Heinrich überließ ihr auch die Regentschaft, wenn er zu häufigen Reisen durch sein Königreich aufbrach, sodass faktisch nicht er, sondern sie (zumindest zeitweise) das Zepter in der Hand hielt. Und auch wenn er in London war, munkelt man, habe nicht Heinrich, sondern Eleonore die Hosen angehabt. Das Paar bekam acht Kinder, darunter als zweiten Sohn den späteren König Richard Löwenherz (auch Nicht-Historikern bekannt aus der Robin-Hood-Sage). Doch je länger die Ehe dauerte, desto mehr wandte sich Eleonore von Heinrich ab. Sie unterstützte sogar eine Rebellion ihrer Söhne gegen den Vater.
Als sie bereits im fortgeschrittenen Alter war, zog sie sich nach Aquitanien zurück, genauer gesagt in die Abtei Fontevraud bei Poitiers, wo sie nach ihrem Tod 1204 – im für damalige Verhältnisse biblischen Alter von (mindestens) 80 Jahren – auch beigesetzt wurde.
Die Nachwelt hat sie als eine zwar schöne, aber auch machtbesessene Frau in Erinnerung behalten, die mit ihrem ersten Ehemann an einem Kreuzzug ins Heilige Land teilnahm und eine Mätresse ihres zweiten Ehemanns ermordet haben soll. Letzteres ist aber wohl nur eine Legende. In ihrem Heimatland Aquitanien erinnert man sich lieber an ihre sanfte Seite. So hat sie selbst Gedichte geschrieben und die Kultur der Troubadoure gefördert, die mit ihrem Minnesang das höfische Leben bereicherten. Auch wirtschaftlich profitierte die Region von Eleonores Herrschaft. Sie gewährte den Winzern von Bordeaux Privilegien und befreite sie von Zöllen. So unterstützte sie den Weinbau und begründete seine bis heute überragende Stellung.

Die Bedeutung der aquitanischen Ikone für die gesamte Region fasst Sandrine Bouc, deutschsprachige Fremdenführerin in Arcachon, hier nochmal kurz zusammen:

[zum Anhören klicken: O-Ton Sandrine Bouc]

 

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Hier geht's weiter zur Cité du Vin in Bordeaux und der Reportage "Nouvelle Aquitaine 2".