Chile 4

FRUTILLAR
- deutsche Vergangenheit und Gegenwart in der "Chilenischen Schweiz"

Die Seenregion zwischen Puerto Montt und Temuco wird auch die Chilenische Schweiz genannt. Trotz der schneebedeckten Vulkane, die das Landschaftsbild prägen. Aber es gibt eben auch viele Seen, drum herum Felder und Weiden mit buntscheckigen Kühen. In dieser Gegend fanden im 19. Jahrhundert deutsche Einwanderer eine neue Heimat. Die meisten kamen aus Hessen und Schlesien. Sie machten das Land urbar und drückten ihm ihren kulturellen Stempel auf. Am Baustil beispielsweise und an den Straßennamen ist das bis heute deutlich erkennbar. Das Städtchen Frutillar, schon durch sein klassisches Musikfestival und seine unvergleichliche Vulkan-Kulisse im ganzen Land bekannt, nutzt seine deutsche Vergangenheit als zusätzlichen Magnet für den Tourismus.

Reportage (Radio hr3, 23.05.2004):

[Atmo: Hahnenschrei]

Wenn der Hahn kräht auf dem Mist, fühlt sich der deutsche Besucher fast wie daheim auf dem Land. In Frutillar scheint die Welt noch in Ordnung. Die Häuser sind herausgeputzt, die Vorgärten gepflegt. Und innen schaut es aus wie in Omas guter Stube: altdeutsch-rustikal. Erika Hechenleitner-Winkler hat ihre Pension folgerichtig "Wie zu Hause" genannt. Nicht nur wegen des Mobiliars.

[O-Ton Erika Hechenleitner-Winkler:]
"Die Leute, also nicht weil ich es sage, sie fühlen sich halt wie zu Hause, weil wir selbst bedienen. Ich arbeite mit einer Nichte. Wir haben kein Personal, wir bedienen selbst."

Ihre Vorfahren kamen 1852 nach Chile und verwandelten die damals noch unzugängliche Seenregion in fruchtbares Ackerland. Von der Pionierarbeit der ersten Einwanderer kann man sich im Freilichtmuseum von Frutillar ein Bild machen. Doch so mancher kam nie in seiner neuen Heimat an – wie auf einer Schautafel zu lesen ist:

"Nach einem halbstündigen Marsch wurde zunächst mit Verwunderung, dann mit Entsetzen festgestellt, dass zwei Familienväter fehlten. Linke und Andreas Wehle. Man rief nach ihnen, man entzündete Feuer mit Hilfe der Waffen, die wir trugen, alles war umsonst. Jene zwei Unglücklichen blieben für immer verschwunden."

Diejenigen aber, die es geschafft hatten, rodeten Wald und gründeten eine Siedlung mit Kirche, Mühle und Schmiede. Dort lebten sie unter sich bis etwa Mitte des 20. Jahrhunderts. Und sie führten eine Tradition ein, die nicht mehr wegzudenken ist aus dem Leben der Menschen in Frutillar und Umgebung:

[O-Ton chilen. Touristin:]
"Kuchen."

Residencia "Wie zu Hause"
Alt-Pfarrer Helmut Beisiegel
Vulkankulisse in Frutillar

Das deutsche Wort Kuchen kennt hier jeder. Sogar die Chilenen aus dem Norden, die heute in der Seenregion leben. Denn süßes Backwerk vom Apfelstrudel bis zur Schwarzwälder Kirschtorte ist fast schon ein Grundnahrungsmittel. Ansonsten aber spricht nur noch die ältere Generation Deutsch. So wie der 87-jährige pensionierte Gemeindepfarrer Helmut Beisiegel. Mit seinen Kindern und Enkeln muss er Spanisch reden.

[O-Ton Helmut Beisiegel:]
"Sie gehen zwar noch in die deutsche Schule hier, aber was man in der Schule so lernt, das ist zu wenig, weil die Eltern zu Hause nicht mehr mitmachen."

Und der ehemalige Bürgermeister Osvaldo Fritz-Klocker beklagt, dass zu wenig deutsche Lehrer bereit seien, in Chile zu arbeiten. Dabei würden sie es nicht bereuen, versichert er:

[O-Ton Osvaldo Fritz-Klocker:]
"Eine Lehrerin, die, sagen wir mal, 20, 22 oder 23 Jahre alt wär' und hier nach Chile kommt, vielleicht geht sie nicht mehr nach Deutschland. Sie heiratet hier und bleibt hier." (lacht)

Schon möglich. Denn – wenn man die herrliche Kulisse des Vulkans Osorno mal außer Betracht lässt – in Frutillar würde sie sich beinahe fühlen wie daheim.

[Geräusch: Hahnenschrei]

 

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